Nach hundert Jahren wiederentdeckt

Zu seinen Lebzeiten war Urspruch ein international anerkannter Komponist: Viele seiner Werke wurde in den deutschen Großstädten unter berühmten Dirigenten aufgeführt, seine größten Erfolge feierte er mit dem Chorwerk "Die Frühlingsfeier" (u.a. Aufführungen in Köln unter Franz Wüllner, in Berlin unter Siegfried Ochs, in Frankfurt unter Gustav Kogel) und mit seiner Komischen Oper "Das Unmöglichste von allem" (u.a. Uraufführung in Karlsruhe unter Felix Mottl und eine Aufführung in Prag unter Leo Blech, die begeistert besprochen wurde). Nach seinem frühen Tod im Jahr 1907 kam es nur noch vereinzelt zu Aufführungen, und er geriet bald ganz in Vergessenheit. Was waren die Gründe?


Urspruch war ein Komponist, der seinen eigenen Stil in Anlehnung an seine großen Vorbilder, vor allem Liszt, Brahms und Schumann, entwickelte. Bei aller Eigenständigkeit und Originalität im Detail blieb er weitgehend der Tradition des 19. Jahrhunderts verbunden, während zur gleichen Zeit in der Musik, wie im übrigen auch in allen Bereichen der Kunst, die großen, z.T. umwälzenden Erneuerungen stattfanden - man denke nur an die neuen musikalischen Größen jener Zeit, z.B. R. Strauss, M. Reger, G. Mahler oder auch an M. Ravel, C. Debussy, I. Strawinsky ..... So geriet Urspruch während einer Phase des Umbruchs in den Schatten der neuen Entwicklungen und war nicht mehr gefragt.. Er teilte dieses Schicksal mit vielen Künstlern und Geistesgrößen seiner Zeit.


Dass das musikalische Vermächtnis Anton Urspruchs nicht vollständig in Vergessenheit geriet, verdanken wir in erster Linie den Bemühungen seiner jüngsten Tochter, Frau Theodora Kircher-Urspruch, die in den 50iger und 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts den Nachlass ihres Vaters sammelte, ordnete und zum grossen Teil der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek überliess. Aus ihrer Feder stammt auch eine Gedenkschrift zu Urspruchs 125. Geburtstag, die einen Überblick gibt über seine Lebensgeschichte und sein musikalisches Werk.


Eine erste Neu-Aufführung erfolgte 1994 in Frankfurt: Damals veranstaltete die Frankfurter Museumsgesellschaft anlässlich der 1200 Jahr-Feier der Stadt Frankfurt ein Konzert, in dem das Programm eines Kammermusikabends vom 23. Februar 1894 wiederholt wurde. Dabei kam unter andrem Uspruchs Cello-Sonate op. 29 zu einer ersten Neu-Aufführung.


Ebenfalls in den 90iger Jahren begann eine Enkelin Urspruchs die Recherchen ihrer Mutter aufzugreifen und gemeinsam mit Musikerfreunden das Notenmaterial ihres Grossvaters zu sichten. Erstes Ergebnis dieser Recherchen war die Produktion einer CD mit Liedern Anton Urspruchs bei Dabriunghaus & Grimm.


Diese Aufnahme gab den Anstoss zu einer Aktion des Hessischen Rundfunks, der gemeinsam mit der Stadt Frankfurt im Jahr 2000 ein grosses Gedächtniskonzert zum 150. Geburtstag des Komponisten veranstaltete. Es kamen Chorwerke, Lieder und Werke der Kammermusik zur Aufführung – ein Unternehmen, das beträchtliches persönliches Engagement aller Beteiligten verlangte, da das gesamte bis dahin unbekannte Notenmaterial für eine geeignete Auswahl gesichtet werden musste. Seit diesem Auftakt ist das Interesse an Urspruch langsam aber stetig gewachsen, vor allem bei jüngeren Künstlern die ihr Repertoire im Bereich vergessener Werke aus dem 19. Jahrhundert erweitern wollen.

Im Jahr 2007, noch einmal einem Jubiläumsjahr, in dem Urspruchs 100. Todestag gefeiert wurde, fanden Konzerte in Frankfurt, Freiburg, Münster, Duisburg, Gütersloh und Saarbrücken statt, jedes Mal mit sehr positiver Resonanz.


In der Folgezeit kam es zu einer ganzen Reihe von Neu-Aufführungen und CD-Einspielungen. Das grösste Unternehmen war die Aufführung von Urspruchs komischer Oper „Das Unmöglichste von Allem“, die unter der Regie von Peter Pachl im Herbst 2011 stattfand. Im gleichen Jahr brachte die Pianistin Ana-Marija Markovina den ersten Teil der „Complete Works for Piano“ als CD heraus, eine Einspielung, die die Pianistin einige Jahre später ergänzen konnte zum Urspruch´schen Gesamtwerk für Solo-Piano. Es wurde 2016 bei Hänssler veröffentlicht.


Urspruchs einzige Sinfonie und sein Klavierkonzert war schon früher vom Westdeutschen Rundfunk aufgenommen und gesendet worden. Beide Werke sind 2018 als CD erschienen. Im gleichen Jahr soll jetzt noch eine zweite Aufnahme des Klavierkonzerts bei Hyperion heraus kommen und eine zweite Lieder-CD bei Kaleidos: Sibylla Rubens singt Lieder von Urspruch und von seinen beiden Lehrern Joachim Raff und Franz Liszt.
Man sieht an dieser Aufzählung, dass das Interesse an Urspruch stetig zunimmt. Auch auf musikwissenschaftlichem Gebiet wird weiter gearbeitet: Zwei Diplomarbeiten liegen inzwischen vor ( Michael Biehl:"Anton Urspruch, ein vergessener Spätromantiker", Diplomarbeit an der Schola Cantorum Basilensis, 1998. und Svea Schildknecht: "Das Liedschaffen Anton Urspruchs", Diplomarbeit an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg im Breisgau, 2000).Dazu kommt eine sorgfältig recherchierte Studie über das Lebenund Werk Anton Urspruchs die eigentlich als Dissertation geacht war,. Jetzt suchen wir nach einem Verlag, der die Arbeit so, wie sie vorliegt, veröffentlichen kann.


Konkrete Daten über neue Produktionen und Konzerte werden in der Rubrik „Aktuelles“ angezeigt.